Wenn hochalpine Landschaft zum Hauptdarsteller und Geschichte lebendig wird: Im September flieht „Friedl mit der leeren Tasche“ wieder aus Tirol gen Süden.

(Vent) Scheint wie für diese Zeit gemacht, gibt es aber schon länger: Das Wander-Theater „Friedl mit der leeren Tasche“ zieht im September bereits zum 9. Mal durchs hintere Ötztal. Eine eingespielte Schauspieltruppe mit maximal 40 Zugehern im Gefolge, die mal nah, oft aber auch weit entfernt sind. Dank eines kleinen Knopfs im Ohr bekommt das Publikum sogar auf Distanz den kleinsten Seufzer mit, den Friedrich, Herzog von Tirol, von sich gibt – anno 1416, als er verraten und verarmt über die Berge nach Meran flieht, um von dort sein Land nach vorne zu bringen. Wer das geschichtsträchtige Roadmovie miterleben möchte, bewegt sich vom Bergsteigerdorf Vent durch die atemberaubende Abgeschiedenheit Richtung Italien: Knapp zehn Streckenkilometer und 660 Höhenmeter bei einer Spiel- und Gehzeit von 5,5 Stunden. Für den Rückweg sind drei Stunden zu kalkulieren, Karten gibt’s zum Preis von 37 Euro (Erwachsene) bzw. 21 Euro (Jugendliche). www.vent.at/wandertheater-friedl, www.oetztal.com

Wenn der Guide dazu auffordert, noch ein wenig zu gehen, „die 30 Schritte bis zum Felsen da oben“, dann verrät er den Logenplatz für eine etwas andere Darbietung. Wie aus dem Nichts erscheinen historisch gewandete Personen, machen die Bergwelt zur Bühne und nehmen ihr Publikum Schritt für Schritt mit auf Zeitreise. Der imaginäre Vorhang für das Wandertheater „Friedl mit der leeren Tasche“ öffnet sich.

Friedrich, Herzog von Tirol, ist am Ende, als er im hinteren Ötztal ankommt. Bauern helfen ihm über die Berge nach Südtirol. Vor ihm liegt der Schnalskamm mit dem mächtigen Similaun (3599 m), an dessen Felswänden entlang die uralte Flucht- und Schmugglerroute von Nord- nach Südtirol verläuft.

Die Landschaft: karg, unwirtlich, von Felsstürzen gezeichnet, von Zivilisation verschont. „Die perfekte Kulisse für Historienstoff“, schwärmt Regisseur Hubert Lepka, nachdem er Luft geholt hat. Denn auch er muss sich bewegen. Und an den insgesamt sieben Naturspielstätten am Weg unter anderem den Empfängerkasten ausrichten.

Denn alle Wanderer tragen ihren Knopf im Ohr. Jeder Atemzug, sogar das leise Selbstgespräch ist hörbar, auch wenn Friedl (gespielt von Ekke Hager) sich im tosenden Wildbach erfrischt und die Bildfläche erst aus der Ferne betritt. Begleitet wird er von der hilfreichen Magd Anna (Anna Maria Müller), mit der sich eine Liebelei anbahnt, und von der „fremden Frau“ (Marion Hackl), die immer wieder dazwischen funkt.

Wie genau sich Friedl durchs hintere Ötztal schlug, ist nicht belegt. „In der Schule haben wir gelernt, dass er bei unseren Bauern Unterschlupf fand, konkret auf den Rofenhöfen“, erzählt Ernst Lorenzi. Er ist der Initiator des Wandertheaters, mit dem er – wenn man so will – eine sanfte Antwort auf das Alpenspektakel „Hannibal“ geschaffen hat, das ebenfalls seine Idee war.

Allzu viele Fakten hemmen ohnehin die Fantasie. Das historisierende Stück zeigt einfach, wie es gewesen sein könnte. Da findet dann auch die kleine Anna-Liebelei spielend ihren Platz – und macht die Sache noch ein wenig interessanter. Allerdings nur, sofern man sich konzentriert, um zu verstehen. Denn die Dialoge werden teilweise im authentischen Ötztaler Dialekt gesprochen, der nah am Mittelhochdeutschen dran ist und von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe erhoben wurde.

Wenn die Gespräche verstummen, erklingen aus dem Knopf im Ohr mal Hirtenlieder, mal geistliche Avantgarde-Musik des 15. Jahrhunderts. Zwischendurch werfen Sprecher aus dem Off Schlaglichter auf die politisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge zu Zeiten des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Renaissance. Friedls Situation wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, Schlenker schlagen den Bogen zur Jetzt-Zeit. Etwa, wenn es darum geht, dass man in 3000 Meter Höhe am Berg doch besser zusammenhält und sich auch als „fremde Frau“ in eine Wandergruppe integrieren sollte, statt weiter Fehden auszutragen. Ohnehin werden die „Zugeher“ als Teil der Gesamtinszenierung ins Stück hineingezogen, Publikum und Schauspieler wachsen wandernd zusammen.

Die Darsteller legen die Hälfte der Strecke mit dem Fahrrad zurück, um vor den Zuschauern an der nächsten Spielstätte zu sein. Während das Publikum jetzt ausruht und niveauvolle Theaterkunst konsumiert, geben die Schauspieler alles. Und das bei jedem Wetter. Spätestens wenn Anna zum Schluss ihren elfenartigen, ballettreifen Liebestanz aufführt – barfuß, auf mit Steinen durchsetztem Grün – weiß man auch die körperliche Leistung zu schätzen, die die Akteure über fünfeinhalb Stunden im hochalpinen Raum erbringen.

Wer mag, kehrt auf dem Rückweg auf der Martin Busch Hütte ein. Zusammen mit den Darstellern, die in ziviler Funktionskleidung plötzlich ganz anders aussehen. Bei Bier und Brotzeit entwickeln sich lockere Gespräche – mal rund ums Wandertheater und die besonderen Herausforderungen, mal über die Schauspielerei im Allgemeinen.

Tickets: www.vent.at/wandertheater-friedl. Weitere Infos: Ötztal Tourismus, Gemeindestraße 4, A-6450 Sölden, Tel.: +43 (0) 57200-0, www.oetztal.com

Friedl und eine Frau
Auch eine Liebesgeschichte gehört dazu, wenn Friedl flieht.
Foto: Ötztal Tourismus, Ernst Lorenzi
Friedl und zwei Frauen
Wo kommt die Frau bloß her? Emotionale Verstrickungen auf der Flucht.
Foto: Ötztal Tourismus, Ernst Lorenzi
Friedl alleine auf weiter Flur
Nichts wie weg: Durch die Weiten des hinteren Ötztals.
Foto: Ötztal Tourismus, Ernst Lorenzi